Blauäugig in die Zukunft

«Wer etwas verändern will, sucht Ziele – wer etwas verhindern will, hat Gründe» schreibt R.D. Precht, der deutsche Philosoph in seinem letztjährig erschienenen Buch.

Die Wissenschaft mahnt mit zunehmender Dringlichkeit, aber grosse Teile der Gesellschaft ziehen es vor, den Besitzstand zu wahren und Gründe gegen Massnahmen zu suchen. Natürlich geht es hier nicht nur um den Klimawandel und um die dramatische Verringerung der Artenvielfalt, sondern auch um eine schwer reformierbare Altersvorsorge und die Herausforderungen der digitalen Wirtschaft: in allen Bereichen werden Expertenmeinungen weggewischt, dafür wird krampfhaft am Bestehenden festgehalten: Fliegen gehört zum Alltag, das Wirtschaftswachstum wird’s schon richten, und ein Roboter nimmt mir meinen Arbeitsplatz schon nicht weg! Dieser Unterschied zwischen ‘sollen’ und ‘wollen’ wird als kognitive Dissonanz bezeichnet: Obwohl ich weiss, dass ein Urlaub auf den Malediven zum Absterben der Korallen mit beiträgt, buche ich die Reise trotzdem. Ursache (die Emission durch den Flug) und Wirkung (die abgestorbenen Korallenriffe durch eine Erhöhung der Wassertemperatur) sind so weit voneinander entfernt, dass kein Zusammenhang gezogen wird.

 

In den letzten 50 Jahren war es vielfach das Aufbegehren von Bevölkerungskreisen gegen den Status Quo, das zu einem gesellschaftlichen Wandel führte: in den Sechzigerjahren wurde die Rassendiskriminierung in den USA – wenigstens auf dem Papier – aufgehoben, die 68er Bewegung brachte neuen Wind in viele Seiten unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens, die Friedensbewegung half den kalten Krieg zu beenden und die Anti-AKW Demonstrationen hatten Anteil an der Verhinderung vom Kernkraftwerk Kaiseraugst.

 

Nun sehen wir abermals ein Aufstehen der Zivilgesellschaft – Teile der jungen Generation begnügen sich nicht mehr mit Abfalltrennen, sondern demonstrieren für schnelle und radikale Massnahmen gegen den Klimawandel. Technologische, teilweise kostspielige Möglichkeiten sind vorhanden, aber es wird nicht ohne eine substantielle Änderung unseres Lebenswandels erreichbar sein!

 

Unsere Wohlstandszivilisation packt uns in einen Kokon, in der sich das Leben sorglos geniessen lässt. Davon Abstriche zu machen, ist wie das wohlig warme Wasser der Badewanne zu verlassen. Wäre nicht jetzt der richtige Zeitpunkt?