Interview mit Céline Widmer

Warum kandidierst du für den Nationalrat?

«Die Zeit ist reif für Veränderung: Ich kämpfe für eine solidarische, ökologische und offene Schweiz. Ich kandidiere für den Nationalrat, weil ich will, dass alle Menschen in der Schweiz ein gutes Leben leben können. Darum setze ich mich dafür ein, dass sich Städte und Agglomerationen sozial, nachhaltig und ökologisch entwickeln können. Es ist Zeit für eine Politik, die sich am Alltag der Menschen orientiert.»

Die Reform der Sozialwerke ist ein Dauerbrenner in Bern. Wie sieht deine Vision aus?

Die Stärke unserer Gesellschaft misst sich am Wohl der Schwachen – so steht es zu Recht in der Bundesverfassung. Unsere sozialen Sicherungssysteme müssen so ausgestaltet sein, dass sie allen Menschen, ob jung oder alt, ein würdevolles Leben ermöglichen. Sie müssen langfristig und solidarisch finanziert werden.

Noch immer verdienen Frauen weniger für die gleiche Arbeit und sind in unternehmerischen und politischen Führungspositionen massiv untervertreten. Was tun?

In zu vielen Köpfen ist immer noch eine klare, vermeintlich natürliche Rollenzuteilung verankert: Für Haus und Kinder, also das Private, sind die Frauen zuständig. Für die Erwerbsarbeit die Männer. Geschlechterstereotypen schaden uns allen und zementieren Ungerechtigkeit. Echte Gleichstellung gibt es nur, wenn wir die veralteten Rollenbilder überwinden. Die Politik muss mehr tun gegen Diskriminierung und für gerechte Geschlechterverhältnisse.

Sind Beitrittsverhandlungen mit der EU für Dich eine Alternative zum möglichen Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU?

Ich bin ganz klar für einen EU-Beitritt der Schweiz. Das nächste Ziel ist jetzt aber das Rahmenabkommen, das den Lohnschutz nicht gefährdet. Dass einzelne Bundesräte dieses wichtige Projekt versanden lassen wollen, gar für gescheitert erklären, ist absolut stossend. Diese Abschottungspolitik schadet der Schweiz.

Soll die Schweiz ein neues Kampfflugzeug anschaffen?

Als GSoA-Mitglied bin ich gegen den Kauf neuer Kampfjets. Dieses Geld investieren wir viel besser z.B. in Bildung, Entwicklungszusammenarbeit, Integration oder die Altersvorsorge.

Warum befürwortet Du das asoziale «Road Pricing»?

Ob ein Road-Pricing asozial ist, hängt von der Ausgestaltung ab. Der MIV muss reduziert werden, für den Umweltschutz, für mehr Sicherheit in den Städten, für mehr Platz für ÖV, Fuss- und Veloverkehr. Um die Klimakrise wirksam zu bekämpfen, müssen wir den CO2-Ausstoss bis 2030 auf netto Null erreichen, keine Frage.

Die Präminen-Entlastungsinitiative der SP ist zwar unbestritten, verhindert aber weder einen Prämien- noch einen Kostenanstieg im Gesundheitsbereich.

Der Wettbewerb im Gesundheitsbereich ist der grösste Kostentreiber: Die neue Spitalfinanzierung löste eine sehr teure Aufrüstungsspirale aus. Das Werben der Krankenkassen um die gesündesten Versicherten zeigt die Absurdität des Wettbewerbs.

Welche Massnahmen soll der Bund ergreifen, um die Integration der ausländischen Bevölkerung zu erleichtern?

Z.B.: Einbürgerungen erleichtern (Einbürgerung stärkt nachweislich die Integration) und AusländerInnen-Stimmrecht auf allen föderalen Ebenen einführen.

Warum und wie soll der Bund den genossenschaftlichen Wohnungsbau verstärkt fördern?

Weil privater Profit im Liegenschaftsbereich die Mieten verteuert. Genossenschaften wollen mit ihren Liegenschaften keinen Profit erwirtschaften, deshalb sind die Wohnungen preisgünstig. Die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus ist heute schon Verfassungsauftrag. Jetzt braucht es konkrete Massnahmen, z.B. für ein Vorkaufsrecht der Gemeinden oder im Bereich der Raumplanung.

Wie kann die SP sicherstellen, dass die Menschen kompetent und souverän im digitalen Kapitalismus teilhaben, mitgestalten und mitentscheiden können?

Ich persönlich sehe in der Digitalisierung mehr Chancen als Risiken. Ich zitiere gerne Min Li Marti: Digitalisierung ist kein Selbstzweck und keine Naturgewalt. Sie muss politisch gestaltet werden, damit sie den Menschen dient und die Mitsprache stärkt.

Wo siehst Du bei den Risiken der Digitalisierung Handlungsbedarf?

Cyber-Sicherheit ist eine grosse Herausforderung. Dazu gehört z.B., dass Kriminalität im Cyber-Bereich nur grenzüberschreitend bekämpft werden kann. Wie können wir Datensysteme schützen? Wie verhindern wir Datenmissbrauch? Was bedeutet der «gläserne Mensch»? – schwierige und wichtige Fragen.