Zielnoten – Gut ist, was dem Lernen dient
Auf die Olympischen Spiele 1964 in Japan hin erfand die Firma Yamasa den «Manpokei», den ersten Schrittzähler. Sie behauptete, wer 10 000 Schritte gehe, lebe gesund. Nun bestreitet niemand, dass sich regen Segen bringt. Doch wieso genau 10 000 Schritte und nicht 800 mehr oder weniger? Die Zahl war eine willkürliche Setzung ohne wissenschaftliche Basis.
Dennoch nahm die WHO sie in ihre Empfehlungen auf und machte sie zum Standard. Heute sind 10 000 Schritte in der Fitness-App Ihres Smartphones der voreingestellte Wert. Sie können die Zahl Ihrem persönlichen Ziel, ärztlichem Rat oder wissenschaftlichen Erkenntnissen anpassen. Je nach Studie liegt sie zwischen 4400 und 18 000 Schritten. Der Clou ist: Ihre App signalisiert Ihnen dauernd, ob Sie Ihr Ziel erreicht haben oder ob es noch eine Runde um den Block braucht.
Wie funktionieren Zielnoten?
Ähnlich handhaben wir es in der Oberstufe Wädenswil mit pädagogischen Zielen. Stellen wir uns Luisa vor, eine Schülerin der zweiten Sekundarschule. Sie kommt aus einer musikalischen Familie und singt im OSW-Chor. Der Höhepunkt ihres Sommers war das Taylor-Swift-Konzert im Letzigrund. Sie und ihre Freundinnen pilgerten hin und wollen seither als Kulturbon-Projekt eine Band gründen und Swift-Songs covern. Der Name steht schon: «The Wädenswifties».
Luisa summt jeden Swift-Song im Radio mit und versteht viel vom englischen Text. Und dann kommen Zeilen wie «And I swear, I’m only cryptic and machiavellian cause I care». Sie zeigen ihr, dass sie an ihrem Englisch noch arbeiten muss. Im Zeugnis stand Ende der ersten Klasse eine tolle 5, doch Luisa will eine 6. Im Gespräch mit der Lehrkraft entscheidet sie sich für die Note 5.5 als Ziel. Schreibt sie nun eine Arbeit oder präsentiert ein Projekt, das tiefer bewertet wird, ist ihr Feedback orange. Grün signalisiert, dass sie ihr Ziel erreicht hat und wenn sie es übertrifft, ist ihr Feedback pink. Luisa erfährt laufend, ob sie auf Kurs ist. Fast so, wie es Ihr Schrittzähler mit Ihnen macht.
Aber wieso denn bloss?
Unterm Jahr gibt die OSW farbiges Feedback, das im Gespräch vertieft wird. Erst im Zeugnis steht die erreichte Note. Da fragen einige: Wozu denn der Farbzauber? Die kurze Antwort ist: Weil es dem Lernen dient. Und länger: In der Pädagogik und Psychologie unterscheidet man Motivation, die von aussen kommt – man nennt sie extrinsisch –, von innerer, intrinsischer Motivation. Die intrinsische Motivation ist wirksamer als die extrinsische. Will ich etwas aus vollem Herzen, zählt das mehr, als wenn der Lehrer will, dass ich es wollte.
Luisa lernt besser Englisch und Musik, weil sie ihrem Interesse folgen kann und weil sie selbst bestimmt hat, woran sie gemessen wird. Das Feedback lädt sie dazu ein, das eigene Lernen zu erforschen und erlaubt keinen Vergleich mit andern. Die Ablenkung «Warum hat Noah eine 5 und ich nicht» ist weg.
Stärke der inneren Motivation
Sie können die erstaunliche Kraft intrinsischer Motivation beobachten, wenn ein Knirps Ihnen seine fünfzehn Saurier mit altgriechischlateinischen Namen vorstellt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten verlangt, dass er die Liste auswendig lernt. Oder stellen Sie sich vor: Die Firma Yamasa oder die WHO verordneten Ihnen 10 000 Schritte pro Tag. Wenn Sie sie nicht abspulen, erhalten Sie von der App die Mitteilung «ungenügend». Würde Sie das motivieren oder beleidigen? Sie hatten ja gar nie gesagt, Sie wollten 10 000 Schritte gehen und als Wädenswilerin oder Wädenswiler wählt man bekanntlich 8820 – ausser man ist Swiftie, dann sind es 13 000.
Dieser Artikel erschien im November 2024 in der Parteizeitung «So!».